Wie war das mit bioreactor?

G: Tja. das Projekt bioreactor war zum größten Teil auf Flüchtigkeit angelegt. Der bioreactor ist ein Gefäß, in dem eine biologische Reaktion abläuft. Das ganze dauerte etwa ein halbes Jahr.

Es begann mit dem Auftauchen der Website, einer virtuellen Firma, bei der man allerhand innovatives Zeugs einkaufen kann. Den ganzen Krempel kannst du dir unter www.bioreactor.de** angucken.

B.: ich denke im Gegensatz zu Geraldine immer noch, dass es sich um faszinierende Produkte handelt, die der Welt echt was bringen und mit denen ich mich voll identifiziere, vor allem die Modulkartoffel** oder die Planiertiere**, auch der Hydraulikboxer** und die Minidinosauriere** sind Preziosen.

G: Weil es naturgemäß schwierig ist, im Netz die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erheischen, stellten wir unsere firma **bei der ersten Performance dem interessierten Publikum vor. Zwar wurde alles gefilmt, der Film später aber von C., der uns als
EU-Kommissar vorstellte, unterschlagen. Vielleicht war ihm sein Auftritt hinterher selbst unheimlich. Ich als chairwoman kann das gut nachfühlen, denn nichts kann ich schlechter als eine chairwoman schauspielern, vor Publikum auftreten, sprechen, Dinge sprechen, die einem nicht leicht von der Lippe gehen, nie wieder einer solchen Peinlichkeit ausgesetzt sein, das habe ich mir geschworen. Danach wußte ich: die Art von Performance die schauspielerisches Talent erfordert, ist nicht meine Sache. Chairman Bertold rettete die Veranstaltung mit lockerer Präsentation, die er aus dem Ärmel schüttelt.

B: Naja..

G: Daß alle auf eine Art Bühnenstück warteten wurde spätestens dann klar als wir Zettel zugesteckt bekamen mit Sätzen wie: „Zu lang! Bald aufhören!“
Während ich das Nano-Set **
austeilte überschüttete mich ein Bildhauer, der Monumentalwerke erschafft mit einem Kübel Scheiße. Fundamentale Kritik an Webseiten, die doch jeder nach dem Abendbrot mal eben bauen könne.
Vielleicht hat er ja recht. Allerdings ging er doch der Vermischung von fake und Wirklichkeit auf dem Leim: die Farbschweine** sind original aus einem GEO-Heft übernommen. Die Wirklichkeit war dann doch zu absurd, um ernst genommen zu werden. Zumindest waren wir souveräner albern als Madame Boisselier ** beim Ankündigen ihres ersten Klonbabys. Jedenfalls sehe ich besser aus als die da.

B: kein Vergleich..

G: Kurz darauf eröffnete die erste Ausstellung: ARRAY, VODOO und QUELLCODE.**
Ein paar Mäuse und Wunderbäume, die allerdings in der Museumsluft eingingen, waren auch von der Partie. Die Leute im Museum interessieren sich übrigens mehr für die Mäuse**also für alles Lebendige was sich bewegt, als für große Kunst, das ist mir wirklich aufgefallen.

B: Mir auch.

G: Das ist sicherlich der Grund, weshalb es mehr Tierzüchter als Kunstliebhaber gibt. Und dann nahte die zweite Performance**. Wir hatten zu Beginn keinen fertigen Plan. Es entstand alles eines aus dem anderen, es wuchs. Aber dadurch, daß es eine Einladungskarte mit festen Terminen gegeben hatte, waren wir gezwungen, von vornherein Titel für noch nicht einmal angedachte Veranstaltungen zu entwerfen. Wir nannten die Veranstaltungen nach den Rubriken unter denen die virtuelle Firma funktioniert. Nach firma war jetzt biobio dran, unter dieser Rubrik kann man zwar manipulierte, aber dennoch rein biologische Entitäten kaufen, wobei wir uns ans deutsche Gesetz halten.
http://jurcom5.juris.de/bundesrecht/eschg/

Was ist ursprünglicher als der Schöpfungsakt?
Diesmal wollte ich auf keinen Fall schauspielern. Unsere Tischperformance** war für mich daher die reine Lust: unaufgeregt rumzumachen, die Zuschauer konnten kommen und gehen wie sie wollten, wir erschufen nebenher die schöne neue Welt, ohne daß die anderen zunächst wußten was eigentlich vor sich ging. Wie wir früher im Sandkasten Krieg oder Mami und Papi gespielt hatten, spielten wir jetzt Syngenta, Novartis, die ganze Pfuscher-Clique http://www.syngenta.com , http://www.novartis.de eben.
Für Bertold war das anders.

B: Nur partiell.

G: Beeindruckend das Resultat** wir schmissen es beim Abbau der Ausstellung aus dem Fenster. Einzelne Exponate sind noch für Zweitausend Euros erhältlich.Kritik hernach: keine Kartharsis. Kein Aufschrecken. Zu gefällig. Nun gut. Nächstes Mal schrei ich rum und wichs dabei. Das Falsche war nicht die Performance selbst, die war richtig gut, sondern der Ort an dem sie stattfand. Wir hätten das ganze auf der Biomesse im Biovalley**
aufführen müssen, nicht vor den immer gleichen Kunstfuzzis in ihren Anthrazitrollis. Performance muß einen Bezug zum Ort haben, an dem sie stattfindet. Meine Generation kennt die Performance nicht mehr..

B: Ich schon noch, aber, das meiste, was Joseph, Andy und ich in den 80ern aufführten, wäre heute nur noch lächerlich. Wobei das Lächerliche genauer zu untersuchen wäre.

G: ..gerade weil sie nicht wirklich überlieferbar ist und nur in der Erinnerung existiert. Sie wurde von uns Jüngeren noch nicht wie die Klassiker der Bildenden Kunst angesehen‘. Aber zwischenzeitlich haben das Theater, dann die Videoclips mit denen wir aufgewachsen sind, ihren Platz eingenommen. Was ist ein dilettierender Künstler schon gegen ein gut gemachtes Theaterstück, gegen eine gute Band mit einer guten Show, gegen eine schlechte Band deren Clip gut geschnitten ist?
Er ist peinlich.
Wahrscheinlich ist aber das gerade die Brücke zu den Leuten.

B: Ich denke sogar, das diese Peinlichkeit und Lächerlichkeit die Stärke des singulären Künstlers ist, heute, wo alles in den Dateimanager passen muß.

G: Danach waren wir ausgelaugt und redeten nicht mehr über Performances. Jeder brütete vor sich hin und unsere Ideen, deren Zahnräder oft knirschten bifurkierten sich endgültig.

Dementsprechend verlief die dritte Performance zu biomech**. Eigentlich waren es zwei Performances, die mehr oder minder willkürlich nebeneinander abliefen. Bertold las Texte über Maschinen, tanzte mit einem kleinen Roboter Walzer, spielte äffisch ein ohrenbetäubendes auf Leinwand projiziertes Computerspiel, schrie sich die Wut über die allgegenwärtigen Evaluationen aus dem Leib was einen Spezialisten für Evaluationen im Publikum echt sauer aufstieß, und tanzte fanatische Robotertänze**. Ich war albern angezogen, kam zu spät mit einem Text von Aristoteles in den Händen herein, spielte GO, dabei lief ein Film schloß mich an eine herumfahrende Modulkartoffel an, redete ab und zu Sätze in die Ecken und war ansonsten unglaublich schlecht gelaunt.

Als ich am Ende so schnell wie möglich aufs Klo rannte, hörte ich, wie zwei Herren fragten: „Und, was hat das jetzt alles zu bedeuten?“
Gute Frage. Grundgedanke: Unterscheidung zwischen „mechanisch-materiellem“und „lebendig-organischem“ konnte sich auf physikalischen, chemischen und philosophischen Ebenen noch nie halten ,„bio“ und „mech“ nähern sich immer mehr an.
Ich schwor mir, das war aber jetzt nun die aller-allerletzte Performance und haderte mit der Grauenhaftigkeit der vergangenen Stunde. Ich war jetzt der festen Überzeugung, daß Künstler mit Performances nichts anderes bewirken, als sich selbst völlig unmöglich zu machen und sich in überaus peinlicher Weise die Unterhosen runterzuziehen. Im Netz als Net-Art-Künstler ist man viel sicherer.
Das Echo war anders. Jeder hatte etwas komplett anderes gesehen. Unser Desaster hat in ein paar Köpfen Domizil gefunden. Auf der Klingel steht zwar „komisch“, aber als Qualität soll mir das recht sein.

Die letzte Performance bestritt Bertold allein, ich war unpäßlich und ließ mich von der Kunst befreien.


B: Die Performances waren und blieben Achterbahnfahrten aus Peinlichkeiten, Fremdheiten, Verwunderungen, Lichtblicken, „Dschungelerlebnissen“ etc., im besten Falle blinzelte etwas Geheimnisvolles am Horizont. Ich hatte mir Ende der 80er geschworen, nie wieder eine Performance zu machen, mittlerweile, Anfang der 00er, in einem politischen, gesellschaftlichen Klima der totalen Restauration, der Gleichmacherei der entfesselten Total Quality Manager, scheint mir das krude Ereignis eines hingeworfenen Akts der absurd, abwegig, beiläufig und traumgekoppelt ist wieder partial adäquat. Miniereignisse jenseits der Ereigniskultur. Quer landend in der soften, knallkalten, freundlichkeitsdiktatorischen, aerodynamischen, hochbeschleunigten Alltagsmaschinerie aus lauter Passgenauigkeitsbefehlen.
OK, die letzte Performance, eigentlich eine Lesung, die in Anlehnung an die 3 Firmenbereiche zentrallabor** betitelt war, hing an 2 Ideen:
1) eine Bild- Zeitung, die im Innern mit Artikeln und Berichten präpariert war, die die Bandbreite der Biotechforschung in Praxis, Theorie und im Raum der Kuriosa widerspiegelte.
2) Eine Hängematte, die ich mir an einem Ende um den Hals geschnürt hatte und in der u.a. die Bild-Zeitung lag, aus der ich vorlas

Nachdem ich mich von der Hängematte um meinen Hals befreit hatte, nahm ich auf einem Überbrücker-Channel, einem intertemporären Zeitschleifenconductor (eine brandneue Erfindung von bioreactor- Electronics) Kontakt mit Hölderlin auf und er sprach aus meinem Körper zum Publikum, was ziemlich unpassend war. Die Kontaktaufnahme zu Nietzsche scheiterte. Die Lesung und die Hölderlin Attacke dauerten etwa 50 Minuten. Im Nachhinein fiel mir auf, daß ich in die Theatralikfalle getappt war. Die Gespräche nach der Performance quirlten munter mit Begriffen.

Dann hatte auch ich erstmal endgültig genug von Performances.

Tja, schließlich wand ich mich im 2. Teil der bioractor Phase meiner Lieblingskunstform zu: dem Comic. Noch während der bioreactor- Ausstellung hatte ich eine Entdeckung gemacht:


NBIC, Nano-Bio-Info-Cogno.
Was zunächst wie eine Erfindung von Geraldine und mir klingt, ist die Bezeichnung eines von der NSF (National Science Foundation) und des DOC (Department of Commerce) gesponsorten und forcierten US- Großprojekts. Florian Rötzer, Chefredakteur bei der hervorragenden Internetzeitschrift telepolis, war einer der ersten in Deutschland, der von NBIC** berichtete.
NBIC erschien mir wie eine Weiterführung von bioreactor und ich koppelte die beiden Großprojekte in einem kühnen Entwurf. Ich erfüllte mir einen infantilen Wunsch und machte Geraldine und mich in einer vereinnahmenden Geste zu den Initiatoren von NBIC, die sich dann allerdings vom NBIC Projekt zurückzogen, mit diversen unvorhersehbaren Folgen. In einem begehbaren Comic** wurde die phantasmagorische NBIC-bioreactor Story von der Anfangsinitiative, dem Aufstieg der Firma bioreactor, der Parallelaktion NBIC und dem Abfall und Rückzug der bioreactor Firmengründer beschrieben. Hierfür hatte ich Bilder der Serie MACRO** aus den letzten Jahren leicht zurechtgestutzt, um sie ins Projekt einzubringen. Das Ganze konterkarierte ich mit Originalzitaten von NBIC Wissenschaftlern und passenden Bemerkungen einiger Lieblingsautoren, so eine Art Heldenflüsterhalle.
Die Zitate hingen buchstäblich in der Luft.
Es entstand so etwas wie ein Raum von Anspielungen, Geflüster, Verweisen, Traumsplittern, Wissenschaftscontainern, Begriffswäldchen.
Hier hab ich mir einen Wunsch erfüllt: begehbare Comics zu bauen.
Anfang Dezember 2002 bauten Geraldine und ich alles wieder ab. Die bioreactor Seite wird noch 1 Jahr unter http://www.bioreactor.de im Netz stehen.
Ich wünsche noch einen angenehmen Tag. Keep cool.


 

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