The last Senate of Julius Caesar, Raffaele Giannetti

Gemacht, gemacht, gemacht

Probleme politischer Diskurse

Das alltägliche, politische Gespräch ist durch die schiere Masse des schon Gedachten und Gemachten zu einer tollen Ungenauigkeit und Schieflage in jeglichen Aussagen zur Regierungspraxis verdammt. Dies wird noch überlagert durch die Wunschkonstellation des Sprechenden und das mehr oder minder bewusste Problem, das „Fakten“ oder „Tatsachen“ zwar gefunden, aber letztendlich gemacht werden.

Wer „Fakten, Fakten, Fakten“ zwitschert, trällert „gemacht, gemacht, gemacht“, genauer: factum esse = gemacht worden sein. (1)

In der „Bibliothek zu Babel“ beschreibt der argentinische Schriftsteller Luis Borges eine unendliche Reihe von Büchern, die aus einer endlosen Kombination aus 25 Zeichen (22 Buchstaben, Komma, Punkt und Leerzeichen) des hebräischen Alphabets bestehen. Es sei schon ungeheuer unwahrscheinlich, ein Buch zu finden, in dem nur ein einziger, sinnvoller Satz stünde. Und doch seien alle Bücher aller Zeiten der Welt unter Myriaden anderer, unverständlicher Bücher aus unverständlichen Zeichenkombinationen in dieser unendlichen Bibliothek zu finden. Jedes einzelne Zeichen könnte auch der Name eines unbekannten Gottes sein, so Borges.

Diese Metapher, die schiere Masse des Geschriebenen betreffend, sei mitgedacht, wenn hier extrem komprimiert zwei unterschiedliche staatsphilosophische Perspektiven skizziert werden:

Einmal als hierarchisch strukturiertes System einer göttlichen Ordnung oder einer kristallinen, übergeordneten Konstellation ethischer Gesetze, welche soziale Widersprüche austariert, und über eine logische und moralische Integration und Legitimation den Konsens über den Sinn der sozialen Welt firmiert – im Idealfall als ein pro bono für die Herrschenden und für die Untertanen. Diese erste Sicht auf den Staat zieht eine Linie von der Republik der weisen Männer bei Platon, als Herrschaft der philosophischen Elite, zur «civitas dei» des Augustinus und der «communitas perfecta» der Scholastik bei Thomas von Aquin. Weiter über die Vertragstheoretiker der frühen Aufklärung (Thomas Hobbes, David Hume), hin zur Postulation der Naturrechte bei John Locke. Bis zum Hegelschen Modell, in dem der preußische Staat in seiner Vollendung als absoluter Geist gedacht und gewünscht wird in Kontrapunkt zu Kants Ethik des kategorischen Imperativs, um (in einer wirklich sehr kecken Verkürzung) nur wenige klassische Werke und Theorien über das Staatswesen aus Traditionssicht zu nennen.

Andererseits kann der Staat aus revolutionären oder emanzipatorischen Bewegungen heraus als (Zwangs-) Apparat der herrschenden Klassen, als ein inhärenter «Funktionszusammenhang des Schlechteren (zum Schlechteren)» (Bourdieu: fonctionalisme du pire) gesehen werden. Dieses Modell, welches sich aus dem Realdruck der Verhältnisse und dem Begehren der politischen Subjekte gegen hergebrachte Herrschaftsformen entwickelt, greift auf die Empirie und setzt Natur- und Menschenrechte in Bezug auf den jeweiligen historischen Prozess als Konflikt um den Herrschaftsanspruch. Hier sehen wir Theoretiker und Autoren wie Spinoza, der die Einschränkung der Staatssouveränität zugunsten der heterogenen Menge der Bürger betont, weiter Rousseau, Proudhon, Marx, Althusser, Sartre, Foucault etc.

Oft vermischen sich unbewußt/halbbewußt und fast unausweichlich diese (und andere) Perspektiven, den Staat zu denken, im politischen Alltagsdiskurs, wobei das zweite Modell, der «Funktionszusammenhang zum Schlechteren», in der Gegenwart vorherrscht. Sowohl was die Theorie, als auch die Praxis angeht.

(1) Fakt, Faktum (lateinisch factum: Tat, Werk, Ereignis. „Gemachtes“, res facti; factum esse: gemacht worden sein; altgriechisch πράγματα)

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Last_Senate_of_Julius_Caesar_by_Raffaele_Giannetti.jpg
Zitat: Giannetti was born in 1832, in the town of Porto Maurizio in Italy. He became best known for his figure paintings. These included genre scenes, nudes and portraits, where he usually used ladies as his subjects. He also painted historical scenes. He died at Genes in 1916.